Prof. Dr. Joachim Kügler

Seit 2002 gibt es die Internationalen Bibel-Symposien. Sie sollen zum einen der Verständigung der Bibelwissenschaft mit anderen (nicht nur) theologischen Disziplinen dienen, zum anderen die pastorale Ausrichtung der Exegese befördern. Pastoral bedeutet dabei im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht nur Seelsorge, sondern darüber hinaus das Verhältnis der Kirche zur Welt, wie es im Lichte der Glaubensüberlieferung zu gestalten ist.
Diesen in Kirche und Wissenschaft stets prekären Weltbezug zu analysieren und mitzugestalten, ist ein wesentliches Anliegen der ForscherInnen, die sich bei den bisherigen Symposien in Bayreuth (2002) und Graz (2004) getroffen haben.
Das dritte IBS (zum Thema Biblische Religionskritik) wurde im September 2007 wieder vom Lehrstuhl Katholische Theologie 1 der Universität Bayreuth ausgerichtet und fand im "Haus Frankenthal" in Vierzehnheiligen statt. TeilnehmerInnen aus Deutschland, Ekuador, Finnland, Kamerun, Österreich, Simbabwe und allen Teilen Frankens nahmen daran teil.
Das vierte Treffen fand vom 24.-27.9.2009 auf Einladung des Lehrstuhls für Neutestamentliche Wissenschaften der Universität Bamberg in Bamberg statt. Die TeilnehmerInnen aus Botswana, Deutschland, Kamerun, Österreich, Nigeria und Simbabwe diskutierten das Thema "Bibel und Praxis". Die Ergebnisse sind jetzt publiziert.

Bisher vorliegende Ergebnis-Publikationen:


BiAS 4:
Masiiwa Ragies GUNDA (ed.): From Text to Practice - The role of the Bible in daily living of African people today (2011)

2011: Joachim Kügler/ Eric Souga Onomo/ Stephanie Feder (Hg.), Bibel und Praxis. Beiträge des Internationalen Bibel-Symposiums 2009 in Bamberg (bayreuther forum TRANSIT 11), Berlin: Lit 2011.

2009: Joachim Kügler/ Ulrike Bechmann (Hg.), Biblische Religionskritik. Kritik in, an und mit biblischen Texten - Beiträge des IBS 2007 in Vierzehnheiligen (bfT 09), Münster: Lit 2009.
ISBN 978-3-8258-1999-6

2006: J. Kügler (Hg.), Prekäre Zeitgenossenschaft. Mit dem Alten Testament in Konflikten der Zeit. Internationales Bibel-Symposium Graz 2004 (bfT 6), Münster: Lit 2006.
ISBN 3-8258-9176-3

2004: J. Kügler (Hg.), Impuls oder Hindernis? Mit dem Alten Testament in multireligiöser Gesellschaft. Beiträge des Internationalen Bibel-Symposions Bayreuth 27.-29. September 2002 (bfT 1), Münster: Lit 2004



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Bibel und Praxis
Internationales Bibel-Symposion Bamberg (IBS.BA 2009)
Donnerstag, 24. 09. bis Sonntag, 27. 09. 2009, Universität Bamberg

INHALT:
Dass kanonischen Texten von ihren Trägergemeinschaften eine hohe Handlungsrelevanz zugewiesen wird, ist selbstverständlich. Kanonische Texte sollen ja die Identität einer Gemeinschaft sichern und zugleich normative Denk- und Handlungsmuster liefern. Das gilt auch für den christlichen Kanon aus Neuem und Altem Testament. Auch ihm wird von seinen Trägergruppen, also im Wesentlichen den christlichen Kirchen und Bewegungen, eine hohe Praxisrelevanz zugewiesen. Die Frage ist freilich, wie man vom Text zum Handeln kommt.
Eine zunehmend beliebte Lösung ist das „wörtliche“ Lesen des Textes, der dabei in der Regel als Gesetzestext verstanden wird. Dieser Zugang hat freilich deutliche Schwächen. Zum einen ist er hoch selektiv, da stets nur bestimmte, „geeignete“ Stellen herangezogen werden. Zum anderen ist er kaum aktualisierungsfähig. Und drittens kann er nicht mit dem literarischen Charakter biblischer Texte umgehen.
Ein literarisches Lesen der Texte hat wieder ganz andere Probleme. Wer die Bibel als Literatur liest, ordnet sie dem Bereich der fiktionalen Texte zu. Fiktionale Texte aber können und wollen gar keine direkten Handlungsanweisungen geben. So stellt sich bei einer literarischen Lektüre die Frage, was das Gelesene mit der eigenen Praxis zu tun hat, als schier unüberwindlich dar. Was hat die „Heiterkeit der Kunst“ mit dem realen Leben zu tun? Die Frage ist freilich, inwieweit biblische Texte überhaupt Literatur sein wollen. Ist dies nicht (oder nicht bei allen Texten) der Fall, dann kann eine literarische Lektüre der Eigenart (zumindest mancher) biblischer Texte kaum gerecht werden.
Der brisanten Frage nach der Verbindung von Bibel und Praxis will das IBS.BA 2009 nachgehen und dabei selbstverständlich auch die Rolle der Bibelwissenschaft mitbe-achten. Exegese hat ja Anteil an diesem Problem. Zwar ist ihr ein „wörtliches“ Lesen definitiv versperrt, so lange sie Wissenschaft ist, aber dort, wo sie sich an literarischer Lektüre orientiert, stellt sich ihr das Praxisproblem ebenso wie jeder nichtwissenschaftlichen literarischen Lektüre. Orientiert sie sich aber an historischen Zugängen, so kann sie das Praxisproblem ebenfalls nicht leicht lösen, da jede historische Forschung ihren Gegenstand distanziert und ihn in seine Ursprungszeit einbindet. Die Übertragung aus diesem Ursprungskontext in zeitgenössische Kontexte bleibt problematisch.
Wie also kommt man vom Lesen zum Handeln? Gibt es eine Lösung jenseits von distanzlosem „Wörtlich-Nehmen“ und der Distanziertheit literarischer oder historischer Zugänge? Eine mögliche Lösung präsentierte vor über dreißig Jahren der Moraltheologe Volker Eid mit seinem Begriff der „Perspektive“. Ist diese Lösung aber noch tragfähig? Wird sie der Vielfalt der Gattungen, die sich in der Bibel findet, gerecht?